Ein Programm so kreativ wie Beethoven: Das Vokalensemble Luzern ging mit Orchester und Solisten über herkömmliche Grenzen hinaus.
Dass beim Solistenkonzert ein Chor in der Zuschauerrolle auf der Bühne sitzt, erlebt man nicht alle Tage. Im Konzert des Vokalensembles Luzern war das am Freitag im Konzertsaal des KKL aber kein Beispiel dafür, wie heute auch Chöre mit neuen Konzertformen experimentieren. Es erinnerte vielmehr daran, wie bunt Konzertprogramme einst zusammengestellt waren, bevor sie sich sich zu den heute üblichen Standardmustern vereinheitlichten.
Das Vorbild dafür war das berühmte Akademie-Konzert Beethovens von 1808. Aufs Programm setzte der Komponist seine fünfte und sechste Sinfonie, eine Arie, Teile aus seiner Grossen Messe in C-Dur sowie die Chorfantasie op. 80: ein Werk, das in der Kombination von Klaviersolo, Klavierkonzert und Chorkantate seinerseits herkömmliche Gattungsgrenzen unterlief.
Grosses Beethoven-Solo
Ein derartiges Mammutprogramm boten Hansjakob Eglis Vokalensemble und das Orchester Santa Maria zwar nicht. Sie beschränkten sich auf die – vollständige – Messe und die Chorfantasie, setzten aber mit dem Tripelkonzert noch einen eigenen Akzent. Und zeigten so, wie sich in Beethovens Schaffen Visionäres (mit Anklängen an die Neunte Sinfonie) in der Chorfantasie und Traditionsbewusstsein (der Rückbezug aufs Concerto Grosso im Tripelkonzert) verband.
Ein Abend also, der einen spannenden Einblick in Beethovens Experimentierlabor versprach: Dazu passte, dass hier die Chorfantasie ganz an den Anfang gestellt wurde. Denn die vorzügliche Pianistin Yvonne Lang spielte das ausgedehnte Vorspiel des Klaviers so, als wohnte man einem kreativen Schaffensprozess bei: als breit angelegte Improvisation, die sich über unbändige Modulationen hinweg zu einem über klassische Stilgrenzen hinaus drängenden, hochexpressiven Ausdruck steigerte. Fast schon eingeschüchtert musste sich das Orchester erst in diese Gangart finden, begleitete allerdings filigran und trumpfte seinerseits mit dem typischen Beethoven-Sound der exzellenten Holzbläser auf. Bei der Ausdruckskraft des Klaviers schloss schliesslich der Chor unmittelbar an: Das Vokalensemble zeigte, wie eine solche Formation mit 40 Sängern lichte Transparenz mit grosser Klangkraft verbinden kann – gleichermassen bedrängend wie befreiend, wo die Chorfantasie (eine Parallelstelle zur Neunten) nach den Sternen greift.
Messe-Magie
Von diesen Qualitäten profitierte nach der Pause auch die Grosse Messe in C-Dur, wobei Egli, passend zum vielfarbigen Charakter der einzelnen Sätze, eher auf kammermusikalische Feinheiten als plakatives Pathos setzte. Da entfaltete der Chor gleich im Kyrie ganz unforciert einen weit aufgefächerten, geradezu duftig aufblühenden Klang. Und verhalf, mit mühelosen Sopranspitzen über dem schlanken Fundament der Bässe, den fugierten Sätzen zu klarer Zeichnung und Wortakzenten.
Nathlos ins kammermusikalisch differenzierte Klangbild fügten sich die Stimmen des Solistenquartetts. Madelaine Wibom (Sopran), Barbara Erni (Alt), Jakob Pilgram (Tenor) und Peter Brechbühler (Bass) sorgten solistisch (Altsolo «Qui tollis»!) wie als Ensemble für intime Momente der Magie. Und es klang wie eine Erfüllung der Bitte um Erhörung der Gebete, als sich aus dem Orchester die Klarinette wie eine fünfte Stimme ins Quartett mischte.
Preisträgerkonzert mit drei Solisten
Solche Wunder liegen dem Tripelkonzert kompositorisch ferne. Wie heikel es zu interpretieren ist, bestätigte die Wiedergabe mit drei bekannten Luzerner Solisten. Nach einem etwas trägen Auftakt sorgte hier vor allem die Geigerin Brigitte Lang für zunehmend musikantischen Schwung und verband Yvonne Lang am Klavier filigran Spielfreude mit wiederum starkem Espressivo-Ausdruck. Etwas im Schatten der beiden Schwestern blieb klanglich und wegen einiger Intonationsprobleme das Cello von Gerhard Pawlica, der als aktueller Kunstpreisträger der Stadt Luzern das ganze Konzert verdientermassen zu einer Art Preisträgeranlass machte.
Urs Mattenberger, Neue Luzerner Zeitung